Glück im Unglück

Posted on Mi 15 Mai 2024 in Blog

Glück im Unglück

Lange habe ich mir überlegt, ob ich diesen Beitrag schreiben beziehungsweise dann auch veröffentlichen soll. Zwei Dinge haben mich in letzter Zeit dazu bewogen, die Ereignisse, die auf den 20. Oktober 2022 gefolgt sind, "auf Papier" zu bringen. Einerseits waren/sind es die Beiträge von Paul Ramsey und die Offenheit, wie er mit seiner Krebserkranung umgeht. Und dann bin ich per Zufall auf einen Beitrag gestolpert, der etwas Ähnliches schildert, wie es auch mir passiert ist: Schlaganfall mit Anfang 30: “Meine ‘Grippe’-Symptome entpuppten sich als frühe Anzeichen eines Hirninfarkts”.

Grundsätzlich kann man durch den Titel des Artikels auch schon erahnen, was mir passiert ist. Am 20. Oktober 2022 habe ich einen Schlaganfall erlitten.

20. Oktober 2022

Ich bin in der Nacht mit extremen Schwindel aufgewacht. Der Schwindel hat dazu geführt, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Und zu einer Übelkeit, die meinen Magen komplett entleert hat. Da man in seinen 30ern nicht mit dem Schlimmsten rechnet, habe ich mir jetzt auch nicht so viel dabei gedacht und mich immer wieder hingelegt und gehofft der Schwindel geht wieder vorbei. Erschwerend zum Schwindel kam noch dazu, wenn ich mich auf die falsche Seite hingelegt habe, dann hat sich mein Sichtfeld um 90 Grad geneigt. Das ging um ca. 2:00 in der Nacht los, bis gegen 8:00 die Rettung gekommen ist. (Anmerkung: wie man sieht wurde hier alles falsch gemacht, denn bei einem Schlaganfall zählt jede Minute).

Die Rettung hat mich dann auf die EBA (Erstuntersuchung-Beobachtung-Aufnahme) des LKH Graz gebracht. Auch wenn die Versorgung gut war, hat man da den Ernst der Lage dort auch nicht gleich erkannt und so verging auch dort wieder einiges an Zeit. Zuerst hat man einen Lagerungsschwindel vermutet, den Schwindelt auch behandeln können und mir auch eine Infusion gegen die Übelkeit gegeben. Meine Symptome waren dann auch weg und ich habe mich eigentlich schon in einem Raum für die Entlassung befunden.

Glücklicherweise wurde davor noch ein Kopf-CT angeordnet und durchgeführt. Wie man mich in den Untersuchungsraum zurückgebracht hat, wurde mir bewusst, es passt wohl etwas nicht. Statt (nur) einer Assistenzärztin, war auch noch ein zweiter Arzt anwesend. Wieder wurden die neurologischen Standardtests durchgeführt. Daraufhin wurde mir erklärt, ich hatte einen Schlaganfall und sie wollen noch ein MRT von Hals und Kopf machen.

Sie waren wohl etwas überrascht, dass ich während der Aufnahmen im MRT so ruhig geblieben bin, denn mehrmals kam die Ärztin und hat nachgefragt, ob es noch geht und wenn es okay ist, würden sie dann auch noch andere Regionen untersuchen. Nach dem MRT ging es auf die Stroke Unit. Der Transfer ging hierbei durch das unterirdische Tunnelsystem des LKH Graz. Auf der Stroke Unit wurde dann auch noch eine Ultraschalluntersuchung des Halses gemacht. Da lag ich also in einem der sechs Betten der Stroke Unit im LKH Graz. Hier hat man mir dann auch mitgeteilt, man könne eventuell die Ursache gar nicht bestimmen. Das soll immerhin bei rund 25 % der Fälle so sein.

Gleich am nächsten Tag wurde ich zu einer Untersuchung am Herzen gebracht, wo man einen Schlauch durch den Mund eingeführt bekommt und danach einen Ultraschall des Herzens von Innen macht und nicht, wie sonst häufig, von der Außenseite des Brustkorbs. Die weiteren Tage auf der Stroke Unit haben hauptsächlich aus liegen und immer ähnlichen neurologischen Untersuchungen bestanden.

Nach einiges Tagen auf der Stroke Unit wurde ich auf die Normalstation verlegt. Dort wurde mir dann auch erstmals ein Besuch von einer Ergotherapeutin abgestattet. Sie war etwas verwundert, dass ich ganz normal sitzen konnte und auch keinerlei sichtbare Beschwerden hatte. Zusammen mit der Physiotherapeutin durfte ich dann bald aufstehen und erste kleinere Runden gehen. Die ersten Schritte waren noch etwas wackelig, aber nach dem tagelangen Liegen eine wahre Wohltat.

Auf der Normalstation wurde dann weitere Untersuchungen, unter anderem auch wieder ein MRT von Kopf und Hals, gemacht, da die Ärzte bislang keine Ursachen gefunden hatten. Bei diesem zweiten MRT haben sie dann eine Dissektion der Halsarterie feststellen können, was auch "perfekt" zur Lage des Hirninfarkts gepasst hat. Der Hinrinfarkt selbst war im rechten Teil des Kleinhirns.

Da sich mein Aufenthalt im Krankenhaus auch über die Herbstferien erstreckt hat, hat es etwas gedauert, bis ich Termine für die Untersuchungen hatte. Daher hatte ich viel Zeit die Umgebung zu erkunden. Denn Schritt für Schritt habe ich zusammen mit der Physiotherapeutin meinen Radius erweitert und nach einer Zeit habe ich dann immer wieder die Chance genutzt alleine eine Runde zu drehen. Etwas geschockt war ich, wie ich bei einer Runde mit der Physiotherapeutin die Treppen über drei Stockwerke hinauf und hinuter gegangen bin und danach tagelang Muskelkater hatte. Wie schnell Muskeln abbauen können, wenn sie nicht benutzt werden, war erschreckend.

Grundsätzlich muss ich sagen, beim Aufenthalt auf den unterschiedlichsten Stationen im LKH Graz, habe ich mich immer gut versorgt gefühlt und war froh so eine Einrichtung in der Nähe gehabt zu haben.

Reha

Im Krankenhaus hat man mir eigentlich eher eine Kur nahegelegt, aber der Chefarzt der Pensionsversicherung hat mich, aufgrund meiner Diagnose verständlich, auf Reha geschickt. Als Ort für die Reha wurde Laab im Walde bestimmt. Eine Spitzeneinrichtung der Pensionsversicherung vor den Toren Wiens. Wobei man für eine Reise nach Wien durchaus ein wenig Geduld aufbringen musste, da es nicht so ist, wie man es vielleicht von anderen Vororten Wiens kennt. Es geht da etwas beschaulicher zu. So gab es zum damaligen Zeitpunkt keinen Bankomat im Ort und genau ein Geschäft, das zeitgleich auch das einzige Lokal war.

Bei der Aufnahme hat mir der Arzt mitgeteilt, ich wäre sein drittjüngster Patient mit dieser Diagnose. Und vor allem konnte er es kaum glauben, wie ich mit so einer Diagnose, so vor ihm stehen und bewegen konnte. Denn eigentlich sind in Summe zwei ziemlich unwahrscheinliche Ereignisse am 20. Oktober 2022 und den darauffolgenden Tagen eingetreten. Einerseits war es unwahrscheinlich in jungen Jahren schon einen Schlaganfall zu bekommen und andrerseits es ohne (nennenswerte) Einschränkungen zu überstehen.

Auch konnte er es nicht fassen, dass ich vor der Reha schon wieder gearbeitet habe und das nach nur 6 1/2 Wochen. Daher wurde mein Rehaprogramm auch etwas anders ausgestaltet, als es wahrscheinlich bei den meisten anderen Personen mit meiner Diagnose der Fall gewesen wäre. Ich durfte, manchmal eher musste, viel Sport machen. Selbst die Stunden in der Ergotherapie waren darauf ausgelegt, die Muskulatur zu stärken und so durfte ich die Blumenampel über Kopf knüpfen. Eine durchaus sehr anstrengende Tätigkeit Makramee über Kopf zu knüpfen.

Zusätzlich gab es ein Ganzkörpertraining, da ich offensichtlich viel Muskeln, durch die hauptsächliche Arbeit vor und mit dem Computer etwas verkommen habe lassen. So führte ein Trizepstraining dazu, dass ich am Tag danach meine Arme kaum abbiegen und kaum den Pullover anziehen konnte. Meine kognitiven Fähigkeiten wurden von einer Neuropsychologin getestet und bei einem Test am Computer war der Muskelkater in der Armen so groß, dass ich Tastatur und Maus nur zitternd bedienen konnte.

Aber für die Neuropsychologin war ich wohl auch ein ganz beliebtes Studienobjekt, denn es wurden mit mir dort scheinbar mehr Tests gemacht, als im Normallfall, denn sie hat mich nach ein paar Einheiten gefragt, ob ich eh nichts gegen weitere EInheiten und Tests hätte. Naturgemäß habe ich zugesagt, da ich sowieso vor Ort war und tagsüber "nur" zwischen den Therapieeinheiten, Pausen und Mittagessen gependelt bin.

Alles in allem war es eine sehr spannende Zeit. Einerseits habe ich über meine körperlichen Grenzen einiges gelernt, andrerseits waren Ergotherapie, Neuropsychologie und die Vorträge auch sehr lehrreich. Wie üblich sind die Dinge, die man sich während der Reha vornimmt, dann im Alltag nicht ganz so leicht umzusetzen. Aber zumindest bei Teilen ist es mir durchaus sehr gut gelungen, sie in das normale Leben einfließen zu lassen.

Und wie man anhand der folgenden Bilder sehen kann, war das Wetter in den 29 Tagen auch durchaus wechselhaft :-)

Laab im Walde Kloster der Barmherzigen Schwestern in Laab im Walde Schnee im Lainzer Tiergarten

Resilienz

Wichtig für mich selbst war es meine Resilienz steigern zu können. Dafür habe ich mir beispielsweise unterschiedliche Entspannungstechniken angeeignet. Da man zwar herausgefunden hat, was die Ursache des Schlaganfalls war, aber nicht den Grund für die Dissektion der Arterie, gibt es dahingehend nur Vermutungen. Als Nichtraucher und auch ohen ruckartigen Bewegungen mit Kopf in der Zeit davor, ist die größte Vermutung, die im LKH Graz und auf der Reha geäußert wurde, der Stress. Ob es der Auslöser war, weiß ich nicht, aber es war zumindest der Auslöser um einiges im Leben zu ändern.

Das betrifft einerseits die Ernährung, aber andrerseits auch Dinge im Alltag. Beispielsweise hatten früher Termine Vorrang vor dem eigenen Training. Jetzt gibt es fixe Tage, wo ich trainiere und mittlerweile wissen da auch die Kolleginnen und Kollegen im Büro, dass sie da nicht vor 9:00 mit mir rechnen können/dürfen. Regelmäßigkeit hilft mir und meinem Gehirn Dinge zu automatisieren.

Es führt dazu, dass ich Dinge versuche weniger lang aufzuschieben. Denn ich habe keine Garantie, sie dann auch noch umsetzen zu können.

Ich habe auch akzeptiert meinem Körper seine Ruhe zu geben, die er braucht. Auch die regelmäßige (Selbst)überprüfung der Vitalparameter, wie Blutdruck oder Puls.

Es sind eine Summe an kleinen Dingen, die mir helfen. Die es mir ermöglichen ein entspannteres Leben zu führen. Die auch dafür sorgen, die Arbeit in eine richtige Perspektive zu setzen. Ich habe nur zwei Hände und die funktionieren auch glücklicherweise noch. Hätte auch anders ausgehen können. Daher kann ich nur arbeiten, was sich auch ausgeht, ohne Raubbau am eigenen Körper zu betreiben. Wenn sich Projekte deswegen verzögern, dann muss man es akzeptieren.

Da wäre auch das Thema Emotionen und wie ich dafür sorgen kann, dass die Emotionen nicht zu viel Stress im Körper erzeugen. Beispielsweise haben mich früher Dinge, die mich geärgert haben, oft ewig beschäftigt. Mittlerweile ist die Kompetenz etwas Abstand zu gewinnen, schon ganz gut ausgeprägt.

Das hat schon im Krankenhaus angefangen, denn an einem meiner letzten Tage im Krankenhaus war das Spiel von FC Midtjylland gegen Sturm Graz, wo es Sturm Graz als erste Mannschaft geschafft hat, mit 8 Punkten in einer Euroleague Gruppenphase auszuscheiden. Den Sieg gegen Feyenoord konnte ich auf der Stroke Unit nicht mitverfolgen, daher war dann die Niederlage gegen Midtjylland zwar irgendwie bitter, aber angesichts der Situation in der ich mich Tage zuvor noch befunden habe, kein Weltuntergang.

Das steht etwas im Kontrast zu davor, denn vor dem Schaganfall bin ich noch ziemlich euphorisch mit dem Nachtzug aus Rom zurückgekehrt, da Sturm dort ein 2:2 gegen Lazio Rom geholt hat und einige Zeit später relativieren sich die Resultate doch sehr. Und tun es bis heute. Sie lösen Freude aus, wie beispielsweise die zwei Cupsiege 2023 und 2024, aber schlechte Resultate haben ihre (negative) Wirkung mittlerweile komplett verloren. Früher habe ich mich durchaus lange über Niederlagen geärgert, jetzt ist es einfach so, dass ich mir denke, es ändert nichts, egal ob ich mich ärgere oder nicht.

Und dieser Punkt des Versuchs sich nicht zu ärgern, versuche ich in vielen Lebenslagen zu implementieren. Es gelingt manchmal besser, manchmal weniger gut. Wenn es nicht gelingt, versuche ich mit Bewegung gegenzusteuern. Auch mit dem Umlenken der Gedanken. Es ist noch ein weiter weg, bis mich nichts mehr ärgern kann, aber ich bemühe mich ihn Schritt für Schritt zu gehen.

Der Hauptgrund ist einfach mein unfassbar großes Glück in diesem Unglück. Es ist mein Versuch dieses Geschenk anzunehmen und gleichzeitig möglichen weiteren Unglücken vorzubeugen. Sicherlich gibt es gewisse Einschränkungen, aber die sind im Vergleich so minimal, dass ich sie dankend annehme.